Das Wissen und der Erfolg des Mittelstandes sitzt im "Unternehmerbauch" (10/28/2002)

 


Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher als Festredner auf den 30. Rosenheimer Fenstertagen


Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstitutes für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW) an der Universität Ulm, brachte als Festredner der 30. Rosenheimer Fenstertage die komplexen Wechselwirkungen der Weltwirtschaft in brillanter Weise auf den Punkt. Als Berater von politischen Entscheidungsträgern auf nationaler sowie europäischer Ebene, ist Herr Prof. Radermacher ein intimer Kenner der globalen und nationalen wirtschaftlichen Zusammenhänge.

Sozialer Ausgleichsfaktor als Kennziffer globaler Armut
Die zunehmende Globalisierung schafft eine enorme Konkurrenzsituation, denn sie bringt den indischen Ingenieur direkt zu uns. Nationale Regularien werden zunehmend bedeutungslos. An dieser Stelle brachte Prof. Radermacher erstmals den Begriff des "sozialen Ausgleichs" ins Spiel, dem er eine zentrale Bedeutung beimißt. Der "soziale Ausgleichsfaktor" ist eine Kennzahl für die Lücke bzw. den Abstand zwischen Armen und Reichen innerhalb einer Gesellschaft. Je höher dieser Wert liegt, desto ausgeglichener und stabiler ist eine Gesellschaft; beispielsweise liegt dieser Faktor in Österreich bei 65 %, in Deutschland bei 60 % , in den USA bei 49 % und in Brasilien gar bei nur 27%. Angesichts einer katastrophalen globalen Ausgleichsquote von nur 12,5 %, stellte
Prof. Radermacher die Frage, "wie lange der Globus die Entwürdigung der Armen noch aushält". An dieser Stelle betonte Prof. Radermacher den Wert von Investitionen in die sogenannte "Human Ressource", die in Deutschland mit durchschnittlich 130.000 EUR pro Kopf beziffert wird. Im Gegensatz dazu schöpfen die USA weltweit fast zum Nulltarif die "Human Ressources" ab, denn die weltweit besten Köpfe gehen in die USA, um dort eine private Karriere zu beginnen.

Das Wunder der EU-Erweiterung
Als sehr hoffnungsvolles Beispiel, ja als kleines Wunder, sieht Prof. Radermacher die positiven Effekte der EU-Erweiterung, die für ihn eine Globalisierung im Kleinen darstellt. Bereits durch Investitionen in Höhe von 1 % des Bruttosozialproduktes in Infrastrukturmaßnahmen und soziale Standards wird eine nachhaltige und positive Entwicklung angestoßen. Erfolgreichstes Beispiel aus der Vergangenheit ist der Marshall-Plan, der Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg aus der Krise half. Als logische Konsequenz forderte Prof. Radermacher einen "Welt-Marshall-Plan" und eine wachsende Bedeutung der "europäischen Logik", in dessen Kern sozialer Ausgleich, Umweltschutz und eine Steigerung der Produktivität stehen.

Der Mittelstand kann nicht weglaufen
Prof. Radermacher bringt das ganze Dilemma des Mittelstandes mit den Worten "wer nicht weglaufen kann, ist das natürliche Opfer" auf den Punkt. Internationale Firmen können Standorte ins Ausland verschieben und so ein glaubhaftes Droh-Szenario aufbauen und damit politische Zugeständnisse erpressen. Mittelständischen Unternehmen fehlt diese Möglichkeit jedoch, denn sie können nicht "weglaufen". Als Ausweg aus dieser Zwickmühle empfahl er die sogenannte "Doppelstrategie". Bekanntestes Beispiel aus der Vergangenheit ist die NATO-Doppelstrategie. Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass die falschen Argumente auch deutlich als falsch bezeichnet und erkannt werden können. Prof. Radermacher ließ an dieser Stelle das mittelständische Publikum nicht im Stich, indem er auf viele positive und erfolgreiche Mittelständler verwies. Diese finden, trotz Begrenzungen und Standortnachteilen, Wege, das eigene Unternehmen zur Marktführerschaft zu führen. Er gab an dieser Stelle konkrete Handlungsempfehlungen für mittelständische Unternehmer:
- Politik kann nicht helfen, da globale Zwänge den nationalen Handlungsspielraum stark einengen
- Probleme machen Unternehmen fit für den Weltmarkt, indem große unternehmerische Kräfte durch eine Trotzhaltung freigesetzt werden

Beim Mittelstand liegt das Wissen im Bauch
"Wir sind besser als unser Ruf" rief Prof. Radermacher ins Publikum und untermauerte diese Aussage mit dem Hinweis, dass Deutschland die besten Autos, Handys und Maschinen baut. Den tieferen Grund für diese Spitzenposition deutscher Mittelständler, sieht Prof. Radermacher in der fast symbiotischen Betriebsorganisation, die er gleichsam als "Superorganismus" bezeichnet. Bei diesen hoch effizienten Unternehmen sitzt das Wissen "im Bauch", und dies ist auch gut so, denn, so Zitat Prof. Radermacher, "der beste Schutz des Wissens ist, dass man als Unternehmer gar nicht weiß, wo es ist". Abschließend zählt Prof. Radermacher noch einmal die drei zentralen Ansatzpunkte auf, mit denen deutsche Unternehmer in Zukunft Geld verdienen können:
1. Alleinstellung durch innovative Produktentwicklungen
2. hohe Produktivität und globale Wettbewerbsfähigkeit durch innovative Fertigung sowie Prozessoptimierung
3. optimale Kundenorientierung führt zu einer sehr guten Kundenzufriedenheit

Mit diesem Vortrag traf Prof. Radermacher genau die Empfindungen der über 700 Teilnehmer aus 30 Ländern und erntete einen tosenden Applaus. Mit seinen treffenden und gleichsam transparenten Ausführungen schuf Prof. Radermacher eine positive Grundstimmung, die sich wie ein roter Faden durch die gesamten Rosenheimer Fenstertage zog und die weiteren Vorträge und Diskussionen prägte.
 
 
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