Fazit Rosenheimer Fenstertage 2016 (10/23/2016 07:00:00 AM)

Das Motto „50 Jahre Qualität und Sicherheit“ zog über 900 Experten aus 19 Ländern am 12.-14. Oktober nach Rosenheim

Institutsleiter Professor Ulrich Sieberath blickte in seinem Vortrag mit Stolz auf viele Entwicklungen der letzten 50 Jahre zurück und fokussierte sich dann auf die zukünftigen Aufgaben des ift Rosenheim und der Branche. Mit den Worten „Wir können in Deutschland alles außer billig“, brachte er die Herausforderungen der nächsten Jahre auf den Punkt. Hierfür brauchen die Unternehmen Wissen, Erfahrung, Kreativität und unternehmerischen Mut, um mit passenden Produk-ten aktuelle Trends erfolgreich zu nutzen. Hierzu zählen modulare Lösungen für umnutzbare, energieeffiziente und bezahlbare Wohnbauten genauso wie die digitale Transformation und die praxistaugliche Automatisierung von Fenstern und Türen.

Der ift-Meeting Point wurde intensiv für den Dialog mit ift-Experten genutzt. (Fotoquelle: ift Rosenheim)
Ein nachhaltiger Mehrwert ist dabei aber nur durch eine geschlossene „Qualitätskette“ möglich, die von einer anwendungsorientierten Planung bis zu Serviceleistungen in der Nutzungszeit reicht. Wer nicht anwesend sein konnte, findet Publikationen und Präsentationsfolien zu den 29 Vorträgen im Tagungsband.

In ihrer Begrüßung mahnte die Rosenheimer Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer: „Der Klimawandel hat sich vom akademischen Diskurs zum von jedem erlebbaren Fakt gewandelt“. Angesichts von Orkanschäden 2011 und einer Flutkatastrophe 2013 in Rosenheim ein ernster Hintergrund. Den Auswirkungen von Klimawandel, Demografie und Migration widmeten sich mehrere Vorträge und wurden auch im Vortrag von Institutsleiter Prof. Ulrich Sieberath unter dem Titel „50 Jahre Qualität und Sicherheit - Fenster und Fassaden im globalen Wandel“ aufgegriffen.

Der Blick auf 50 Jahre Fenstertechnik machte deutlich, dass aktuelle Themen durchaus eine lange Vorgeschichte haben. Fragen der Sicherheit wurden bereits in den heißen RAF-Jahren der 70iger und Verbesserung der Energieeffizienz seit der ersten Wärmeschutzverordnung 1977 diskutiert. Dass ein Blick auf die Erkenntnisse und Fehler der letzten 50 Jahre nicht schadet, formulierte ein Fensterbauer mit der Erfahrung: „Es ist erstaunlich, wie oft bekannte Fehler wiederholt werden und wie schmerzfrei und ohne Planung oft gebaut wird“.

Prof. Ulrich Sieberath zeigte in seinem Vortrag detailliert, wie man den zukünftigen Aufgaben begegnen kann, die durch den demographischen Wandel, Nachfrage nach bezahlbarem Wohnungsbau, Energieeffizienz, Nachhaltigkeit oder einer Vereinfachung der Bau- und Planungsprozesse entstehen. Wer in Zukunft Erfolg haben will, muss eine unkomplizierte Kombination der Eigenschaften sowie einfache Systeme zur Montage, Integration der Elektronik und mit Vorfertigung entwickeln, um Neubau und Umrüstung mit geringem Planungsaufwand zu ermöglichen. Hierbei helfen moderne Online-Tools wie das ift-Energy-Label oder der Montageplaner besser als das Beharren auf teilweise veraltete Normen, die oft nur den kleinsten gemeinsamen Nenner bieten. Fenster und Fassaden müssen heute als Energiemanager der Gebäudehülle verstanden werden. Deshalb sollte der Fokus von der U-Wert-Olympiade zur ganzheitlichen Planung und Verwendung von Glas, Lüftung, Sonnenschutz und Photovoltaik wechseln. Hierzu kommt die Digitalisierung der Daten, die sowohl die autonome Steuerung automatischer Systeme als auch die individuelle Regelung durch das Smartphone ermöglichen. Player wie IBM, RWE oder Bosch haben sich dem Trend „Smart Home“ angenommen und spätestens seit dem Einstieg von Apple mit der Software „HomeKit“ wird klar, dass Bewegung in den Markt kommt. Wer keine „smarten“ und kompatiblen Produkte anbietet, ist bald draußen.

Prof. Dr. Mojib Latif eröffnete seinen Vortrag zu Klimawandel, Zukunftschancen und Energieeffizienz mit der eindringlichen Warnung, dass das Pariser Klimaabkommen 2015 zu einer Temperaturerhöhung von ca. 3 °C führt und deshalb dringend nachzubessern ist sowie mehr politische Konsequenz verlangt. Ein trauriger Beweis des trägen politischen Handlungswillens ist der Rückblick auf den schwedischen Nobelpreisträger Svante Arrhenius, der bereits 1896 den Zusammenhang von CO2-Emissionen und Temperaturanstieg erkannt und berechnet hatte. Messungen an Bohrkernen zeigen, dass wir mit über 400 ppm CO2-Gehalt der Luft, den höchsten Wert seit 800.000 Jahren haben. Deshalb besteht nun durchaus die Gefahr, dass „Tipping-Points“, wie das beginnende Abschmelzen des Grönlandeises, zu einem Anstieg des Meeresspiegels um sieben Meter und damit zu Klima- und Umweltkatastrophen führen, die der Mensch nicht mehr in den Griff bekommt.

Latif erinnerte zur Lösung der aktuellen Probleme an den „energetischen Imperativ“, der schon 1912 vom Chemiker Wilhelm Ostwald postuliert wurde und der besagt, dass jede Bewegung auf der Erde von der Sonne angetrieben wird. Deshalb plädierte Latif für eine „Massenbewegung“ zur dezentralen Energieversorgung. Die Sonne liefert flächendeckend genügend Energie für uns alle und Geld ist auch da, weil wir in Deutschland jedes Jahr über 100 Mrd. Euro für Energieimporte ausgeben. Die Verfügbarkeit geeigneter Technologien wie Photovoltaik, Windenergie oder moderne Fenster und Fassaden bietet Anlass zur Hoffnung, den Klimawandel in letzter Sekunde zu stoppen, sofern die nationale und internationale Politik konkrete Maßnahmen entscheidet und deren Umsetzung fördert.

Viele weitere Vorträge widmeten sich den unterschiedlichen Facetten dieser Herausforderung und zeigten Lösungen und Details, wie auch Bauherren, Investoren Handwerker und Fensterbauer von einer dezentralen Energieversorgung und nachhaltigen Entwicklung profitieren. Hierzu zählen die Vorträge „Thermografie – Qualitätssicherung von Wärmestandards bei Fenstern und Fassaden“ von Benjamin Standecker, „Meilenstein EnEV 2016 – Was kommt danach?“ von André Hempel, „Die nächste Generation von Gebäuden: gesund – flexibel – circular – werthaltig“ von Dr. Peter Mösle, „Bewertung des Tauwasserverhaltens bei Verbund- und Kastenfenstern“ von Manuel Demel, „Druckentspannung von Mehrscheiben-Isolierglas (DEMIG)“ von Dr. Ansgar Rose, „Nachhaltigkeit – Zertifizierte Produktkette in der Holzwirtschaft“ von Florian Stich sowie „Mobile Messung von Ug-Werten“ von Alexander Frenzl und Konrad Huber.
Der Freitag stand im Zeichen von Recht, Marktzahlen, digitalen Chancen und Risiken sowie Tipps aus der ift-Praxis. Die Vorträge zu den Änderungen des Baurechts von Dr. Gerhard Scheuermann und Dr. Bernhard Schneider waren keine leichte Kost, so dass die Teilnehmer erleichtert das Angebot von Prof. Sieberath annahmen, der eine ausführliche „Übersetzung“ mit Praxistipps für die Fenster- und Fassadenbranche versprach.

Mit der Technik der 3D-Drucker steht eine weitere Technologie vor der Tür, mit der sich nicht nur Produkte, sondern auch Prozesse und Geschäftsmodelle ändern werden. Mit dem Fused Deposition Modeling (FDM) und dem Selective Laser Sintering (SLS) stellte Nikolas Zimmermann zwei Verfahren vor, die auch für Produkte der Fenster- und Fassadenbranche geeignet sind. Damit können die Individualisierung und komplexe Geometrien erheblich einfacher realisiert werden und das mit hoher Materialeffizienz im Vergleich zur spanenden Herstellung. Allerdings müssen auch Aspekte wie die Reproduzierbarkeit (thermischer Verzug), Prozesse (Fertigung auf Baustelle), Schutz von Daten und intellektuellem Eigentum sowie die Anpassung der Geschäftsmodelle bedacht werden.

Dass Investitionen in Energieeffizienz nicht mehr Geld kosten müssen, zeigte Dr. Andreas Hermelink sehr eindrücklich anhand einer Analyse der Baukosten der letzten 30 Jahre. Hans Dieter Hegner erläuterte am Beispiel der 1.013 Fenster im neuen alten Berliner Stadtschloss, wie man mit moderner Fenstertechnik alte Fenster und Fassaden nachbildet und dabei höchste Anforderungen an Design, Energieeffizienz und Sicherheit erfüllt.

Die Präsentationsfolien, Abstracts und Fachartikel zu den 29 Vorträgen finden sich im Tagungsband, der für 39,00 € zzgl. MwSt. im ift-Literaturshop (www.ift-rosenheim.de/shop) erhältlich ist.