Damit ein Palast das Gesicht wahrt
Fenster sind Denkmale im Denkmal, die es ebenso zu pflegen und zu erhalten gilt wie das Gebäude selbst. Und doch werden sie oft viel zu leichtfertig entsorgt, weil es an Bewusstsein für ihren Aussagewert fehlt. Dabei machen Fenster wie viele andere historische Hinterlassenschaften Geschichte erst „begreifbar“. Laut Jan Głodek verraten ihre Größe, Anordnung und Form viel über die Epoche, in der sie erschaffen wurden. Der Austausch etwa eines Rokoko- gegen ein Klassizismus-Fenster bedeute einen ernsthaften Eingriff in das restaurierte Fassadenbild und zugleich einen gravierenden Stilbruch.
Auch Konstruktionsarten und Verschlussmechanismen sind sehr aussagekräftige Quellen für früher zugängliche Materialien und Technologien und daher bewahrenswerte Belege für das alltägliche Leben, erklärte der Sachverständige und Konstrukteur für Bauelemente und Baukonstruktionen anlässlich des 6. Internationalen Fachpressetages von Roto in Warschau. Am Beispiel von Sanierungsarbeiten u. a. am Palast Wilanów nahe der polnischen Hauptstadt lieferte der Diplom-Ingenieur einen interessanten Einblick in den hohen Standard nationaler Denkmalpflege.
Nicht zuletzt ihr und der damit verbundenen umfangreichen Inventarisation und Dokumentation verdanke man die Kenntnisse über die Entwicklung der verschiedenen Fenstergattungen sowie ihre richtige zeitliche Einordnung. Dabei basierten fast alle Fensterentwürfe auf dem Anliegen, Licht und Luft durch die Gebäudehülle durchzulassen, gleichzeitig jedoch die Kälte auszusperren; eine Aufgabe, die vom bautechnologischen Standpunkt aus in der Vergangenheit nur Fenster mit zwei Flügeln hintereinander erfüllen konnten.
Historische Belege
Zu den kleinen Meisterwerken aus vergangenen Zeiten zählte Głodek etwa die Zargenfenster des 15. Jahrhunderts, die nach innen und außen öffneten. Lagen zwei Flügel hintereinander, habe sich der innere nach innen und der äußere nach außen geöffnet. In repräsentativen Räumen wurden die Leibungen zwischen der äußeren und der inneren Zarge außerdem mit einem zusätzlichen Futter versehen, was dann wie ein Blendrahmenfenster wirkte – schön zu sehen, so der Experte, an den Fenstertüren des Warschauer Königsschlosses.
Auf einem ähnlichen Prinzip beruhe das im Mittelalter bekannte einfache Blendrahmenfenster mit seinem nach innen und außen öffnenden Flügel; ebenso die spätere Doppelflügel-Version. Noch heute könne man verschiedenen Lösungen dieser Konstruktion begegnen. Die Bandbreite reiche dabei vom Kastenfenster, bei dem die äußeren Flügel kleinere Maße als die inneren hätten, über Halbkasten- und Verbund- bis hin zum Einfachfenster, das wiederum für die moderne Fassung des Zargenfensters mit Isolierverglasung stehe. Insofern habe die Geschichte der Fensterkonstruktion einen Bogen geschlagen.
Bei aller „Typisierung“ sagt die Zuordnung zu einer bestimmten Konstruktionsweise nicht viel über deren Ausführung aus, erklärte Głodek. Die Sanierung eines denkmalgeschützten Fensters beginne deshalb mit der Inventarisation und der (gezeichneten) Dokumentation des Einbauzustandes unter Berücksichtigung der verdeckten Bauphasen und Konstruktionen. Beim Palast Wilanów habe man zuerst zwei Fenster der Königlichen Bibliothek quasi als Prototypen genau untersucht. Erst nach gründlicher Beurteilung des Zusammenspiels von Bauart, Farbe, Verglasung und Sprossenteilung mit der Rauminnen- und Fassadenansicht seien nötige Anpassungen vorgenommen und dann auf alle weiteren Fenster bzw. Fenstertüren sukzessive und dem Gebäuderenovierungsfortschritt entsprechend angewandt worden.
Wie die rund 50 anwesenden Fachjournalisten aus 12 Ländern in Warschau erfuhren, war der Fensteraustausch im von 2005 bis 2009 aufwändig restaurierten Palast ein insgesamt sehr komplexes Unternehmen. Dazu hätten nicht nur die anspruchsvollen Anforderungen des Denkmalpflegers, sondern auch die enorme Individualisierung von Konstruktionen, Formen und Teilungen beigetragen. Selbst wenn zwei Nachbarfenster auf den ersten Blick fast identisch wirkten, habe die genaue Betrachtung gravierende Unterschiede zutage gebracht. Am Ende seien lediglich zwei von 200 Fenstern von gleichem Maß und gleicher Einbauart gewesen.
Nichts ist von der Stange
Aber auch die verschiedenen Formen von Verschlüssen und Bändern forderten dem Bericht des Experten zufolge heraus. Denn das für ihre Restaurierung gedachte Beschlagsystem habe nicht nur den hohen Anforderungen eines historischen Gebäudes an Ästhetik und Funktion gerecht werden müssen, sondern sollte sich zugleich durch Bedienkomfort und nicht zuletzt Wirtschaftlichkeit empfehlen. Ansprüche, die das „NT“-Sortiment von Roto erfüllte: „Es hatte die entsprechend große Bandbreite, um die Vielfalt der an über 170 Austauschfenstern benötigten Lösungen flexibel abzudecken und funktionssicher nachzuempfinden“, lobte Głodek.
Exemplarisch für die „innovative Zusammenarbeit mit den Roto-Beratern“ nannte er den Nachbau von aufliegenden Drehstangenverschlüssen in den vielen nach außen oder nach innen öffnenden Fenstern. Dabei habe die Stange nur eine optische Funktion. Die Betätigung des Getriebes aus dem „NT“-Baukasten erfolge allein durch die Drehung des historischen Hebels. Eine originalgetreue Lösung stellten zudem die nachempfundenen Abdeckkappen über dem Getriebekasten in den ausgetauschten Fenstern im Gemäldegaleriebereich dar.
Wolle man dem Charakter eines Fensters Rechnung tragen, müsse man es im Planungsprozess einem laufenden Abgleich mit der Inventarisation unterziehen – mit dem Ziel, Unterschiede möglichst gering zu halten. Schließlich sollten auch charakteristische Details, die erst von kleiner Entfernung zu sehen seien, beibehalten werden. Dazu gehörten u. a. die Beschlagelemente. Gerade im Hinblick auf sie gibt es am historischen Fenster im sichtbaren Bereich sehr viel nachzubauen oder nachzuempfinden, so Głodek.
Bei der Inventarisation von Fenstern eines historischen Gebäudes bedürfe es neben präzisen Vermessungen einer guten Portion „Intuition“ für die verdeckten Gegebenheiten in der Wand. Bisweilen müsse das Mauerwerk am Fenster deshalb durch Bohrungen aufgeschlossen werden. Vernachlässigungen auf dieser Etappe, mahnte Głodek, können zu unvorhergesehenen Arbeiten führen. Im Extremfall entpuppten sich die für den Austausch gebauten Fenster als unbrauchbar. Nicht zuletzt aus diesem Grund müsse man jedes Fenster mit einem eigenen Kennzeichen sowohl in einem speziellen Fensterverzeichnis als auch in Fassadenansicht und Etagengrundriss eintragen.
Das Klima mischt mit
Eine sehr wichtige Rolle bei der Beurteilung der Sanierungsmöglichkeiten spielen, wie es weiter hieß, die vorgefundenen bzw. geplanten Klimabedingungen im Innenraum. Dabei gehe man stets davon aus, dass die Arbeiten am Ende „einen zufriedenstellenden Zustand auch wieder herstellen“ und beispielsweise Kondensatbildung dauerhaft entgegenwirkten. Je nach Ergebnis aller Untersuchungen ließen sich alternativ zum Fensteraustausch Einfachverglasungen durch Isolierglasscheiben ersetzen oder aber lediglich die Flügel austauschen und die alten Blendrahmen beibehalten. Unter bestimmten Umständen könnten mit gutem Ergebnis wiederum ganze neue Fenster in einem alten Blendrahmen eingebaut werden. In jedem Fall gelte es, den künftigen Luftaustausch zu berücksichtigen. Im Umkehrschluss sollte man bei geplanten Änderungen am Lüftungs- oder Heizungssystem oder beim Einbau von Klimaanlagen den eventuellen Einfluss dieser Maßnahmen auf die historischen Fenster im Blick haben.
Sei die Entscheidung pro Austausch gefallen, liegt das Problem für Głodek nicht darin, eine originalgetreue Kopie nachzubilden. Auf diesem Wege könne man nämlich keine Verbesserung der Isolierwerte erreichen, was beim Auswechseln von Fenstern ja normalerweise bezweckt werde. Der Einsatz von Mehrscheiben-Isolierglas und Dichtungen sei ohnehin obligatorisch. Bei Fenstern, deren Flügel nach innen öffneten, stelle Schlagregendichtigkeit eine Herausforderung dar. Unvermeidbar bei allen Repliken: Die Maße der Elementquerschnitte seien größer als die in den vorhandenen Fenstern. Und für Sprossen in Verbindung mit Mehrscheiben-Gläsern gebe es bisher keine technisch befriedigende Lösung. Fenster unter Denkmalschutz, so eine wesentliche Erkenntnis, erfordern von allen Seiten Anstrengungen und Kompromisse.
Fenster fürs Museum
Umso erfreulicher, wenn Mühen und Beharrlichkeit belohnt werden und die Verantwortlichen im Laufe der Renovierungsarbeiten einstimmig beschließen, historische Fenster nach ihrem Austausch als Zeugnis der Kulturgeschichte in die Exponatensammlung des Museums aufzunehmen. So geschehen im Palast Wilanów. Ob also an den Fassaden oder ob in den Ausstellungsräumen: „Allein der Reichtum der Fensterbaukunst ist Leitmotiv genug für ein spannendes Besichtigungsprogramm“, warb Jan Głodek.
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45 Jahre Erfahrung in der Holzbautischlerei: Jan Głodek gehört zu den Mitbegründern der polnischen Fensterbauindustrie und zeichnete als Technologe im Zentralen Institut für Bautischlerei u. a. für die Qualitätskontrolle in den Produktionsbetrieben verantwortlich. Seit 2003 ist er als unabhängiger Sachverständiger und Planer von individuellen Dokumentationen für den Austausch von Fenstern in Gebäuden unter Denkmalschutz unterwegs. Zu seinen bedeutendsten Projekten gehört der Entwurf von rund 200 Fenstern und Fenstertüren für die Restaurationsarbeiten am Palast Wilanów von 2005 bis 2009 sowie die Aufsicht über ihren Austausch bzw. ihre Revitalisierung während der Sanierung.
Ein halbes Jahrzehnt: Der Fensteraustausch im Palast Wilanów nahe Warschau war dem Bericht von Jan Głodek zufolge ein sehr komplexes Unternehmen und dauerte von 2005 bis 2009. Dazu hätten nicht nur die anspruchsvollen Anforderungen des Denkmalpflegers, sondern auch die große Vielfalt individueller Konstruktionen, Formen und Teilungen beigetragen. Selbst wenn zwei benachbarte Fenster auf den ersten Blick fast identisch wirkten, hat die genaue Betrachtung gravierende Unterschiede zutage gebracht, erklärte der mit dem Projekt beauftragte Sachverständige. Am Ende seien lediglich zwei von 200 Fenstern von gleichem Maß und gleicher Einbauart gewesen.
Zwei für alle Fälle: Quasi als Prototypen nahmen Sachverständige und Holzfensterspezialisten die beiden abgebildeten Fenster der Königlichen Bibliothek des Palastes Wilanów ganz genau unter die Lupe. Erst nach gründlicher Beurteilung des Zusammenspiels von Bauart, Farbe, Verglasung und Sprossenteilung mit Rauminnen- und Fassadenansicht wurden die erforderlichen Anpassungen vorgenommen und anschließend auf alle Fenster bzw. Fenstertüren sukzessive, dem Renovierungsfortschritt entsprechend angewandt. Der Besucherverkehr lief dabei stets weiter.
Über 170 Austauschfenster und ein Kompliment für das „NT“-Sortiment von Roto: „Es hatte die entsprechend große Bandbreite, um die Vielfalt der benötigten Lösungen flexibel abzudecken und funktionssicher nachzuempfinden“, lobte der mit dem Projekt beauftragte Experte Jan Głodek. Exemplarisch für die „innovative Zusammenarbeit mit den Roto-Beratern“ nannte er den Nachbau von aufliegenden Drehstangenverschlüssen in den vielen nach außen bzw. innen öffnenden Fenstern. Dabei habe die Stange nur eine optische Funktion. Die Betätigung des Getriebes aus dem „NT“-Baukasten erfolge allein durch die Drehung des historischen Hebels.
1-Punkt-Verschluss mit originalgetreu nachempfundener Abdeckkappe: Darunter liegt ein moderner „NT“-Getriebekasten von Roto. Das Austauschfenster befindet sich im Gemäldegaleriebereich des Palastes Wilanów und darf für die Einhaltung der strikt vorgeschriebenen Luftkonditionen nur zum Putzen geöffnet werden.
Ein Fenster fürs Museum: Einige ausgewählte historische Fenster, darunter das abgebildete, werden nach ihrem Austausch als Zeugnis der Kulturgeschichte in die Exponatensammlung des im Palast Wilanów beherbergten Museums aufgenommen. Ob also an den Fassaden oder ob in den Ausstellungsräumen: „Allein der Reichtum der Fensterbaukunst ist Leitmotiv genug für ein spannendes Besichtigungsprogramm“, warb der für die Sanierungsarbeiten mitverantwortliche Sachverständige und Konstrukteur Jan Głodek.
Fotos: Roto |