Brâncușis Măiastra in zwölf Meter hohem Glaskubus (11/25/2021 12:41:13 PM)

Wenn das künstlerische Werk eines Bildhauers unter Tage gezeigt wird, braucht es einen umso stärkeren oberirdischen Ankerpunkt. Mit dieser Idee entstand der zwölf Meter hohe Kubus über dem neuen "Brâncuși-Museum" in Craiova, das sich dem Werk des großen rumänischen Bildhauers Constantin Brâncuși widmet. Der imposante Ganzglas-Bau ist die weit sichtbare Hommage an den Künstler. Mit den gebäudehohen Gläsern (sedak) ist die Hülle dabei genauso beeindruckend, wie der filigrane, ebenfalls aus Glas geschaffene und skulptural wirkende Innenbau, der einem typischen Brâncuși-Werk nachempfunden ist – dem mythischen Vogel Măiastra.

Craiova, sechstgrößte Stadt Rumäniens (rund 260.000 Einwohner), ehrt einen ihrer berühmtesten Künstler, den Bildhauer Constantin Brâncuși – mit dem "Constantin Brâncuși International Art Center" im städtischen Kunstmuseum. Um die Ausstellungsfläche dafür angemessen zu erweitern, ohne den Altbau als Solitär zu verändern, wuchs das Museum nach unten und erhielt einen unterirdischen Flügel.

Oberirdisch kommt ein Kunstwerk hinzu: Ein Glaspavillon als Werk zwischen Architektur und Bildhauerei, eine "Op-Art" wie eine optische Täuschung verschiedener Formen, wie sie typisch ist für das Werk von Brâncuși, ein Glas-Kubus, in dem ein ovales, fusiformes Volumen scheint und schimmert. So wird das Bau-Kunst-Werk zur Referenz für ein Projekt, das Brâncuși nicht mehr realisierte: den Tempel von Indore.

Beeindruckend sind die Glasscheiben, zwölf mal drei Meter groß, die das Volumen mit quadratischem Grundriss bilden. Innen schaffen horizontal angeordnete Glaslamellen den eiförmigen Raum, der die Skulptur "Măiastra" als Silhouette andeutet, eine Skulptur im Sinne des Schaffens von Brâncuși. Hier wartet ein völlig eigenständiges Raumerlebnis: Aus dem Untergeschoss fährt ein gläserner Aufzug – mit nur einer einzelnen Person – in die Mitte des Pavillons. Diese Person kann nun in den wenigen Sekunden der Auffahrt in die Welt von Brâncuși eintauchen und erfahren, was der Künstler durch sein Werk vermitteln wollte: Erhabenheit, Frieden und Licht des Geistes.


Ingenieurkunst für Kunst
Zwölf Seitenscheiben (12,50 x 3,00 m) und drei Dachscheiben (9,00 x 3,00 m) bilden die gläserne Hülle, acht Glasfins tragen die Seitenscheiben mittels filigraner, einlaminierter Verbindungsstücke. Innerhalb des Glaskubus definieren weitere acht Glasfins die Silhouette des Vogels "Măiastra" – hier in wesentlich größeren Dimensionen als das ursprüngliche, nur neun Zentimeter hohe Kunstwerk: Der aus Glas umfasste Raum ist fast um den Faktor 100 größer. In der Mitte des Konstrukts befindet sich der Glas-Aufzug. Die spezielle Form der Gläser, die die Umrisse der Vogel-Skulptur bilden, war nicht nur in der Glasbearbeitung anspruchsvoll. Vor allem beim Vorspannen und in der Lamination musste auf das richtige Verhalten der Formscheiben im Ofen und auf die Passgenauigkeit an den Kanten geachtet werden

Constantin Brâncuși: Bildhauer, Künstler, Kosmopolit
Constantin Brâncuși (1876 – 1957) war ein rumänisch-französischer Bildhauer und Fotograf. Ab 1904 lebte er in Paris, er zählt zu den prägenden Bildhauern des 20. Jahrhunderts. Nicht die wirklichkeitsgetreue Wiedergabe von Objekten prägte sein Schaffen, vielmehr Reduktion, beeinflusst von afrikanischer und rumänischer Volkskunst. Brâncușis Plastiken sind oft eiförmige Köpfe (oder fliegende Vögel), seine Werke werden der Avantgarde in der Bildenden Kunst zugeschrieben. "Măiastra" steht dabei pars pro toto für die Verbindung, die Darstellung von Vögeln nahe der Ei-Form.



Kurz-Interview mit Architekt Dorin Stefan

Brâncuși arbeitete mit Bronze, Marmor, Holz und Gips. Warum widmen Sie ihm und seinem Schaffen einen Glaspavillon?
Der Pavillon sollte keine Nachbildung eines Objekts oder einer spezifischen Form von Brâncuși werden, sondern eine Hommage – mit den technischen und ausdrucksstarken Baustoffen unserer Zeit. Mich fasziniert Glas und seine modernen Ausdrucksmöglichkeiten.

Wo lag die größte Herausforderung bei diesem Projekt?
Als ich mit dem Projekt begann, gab es noch keine Gläser über neun Meter – ich plante also mit zwei Scheiben, um auf zwölf Meter Höhe zu kommen. Glücklicherweise brachte uns die Verzögerung bei der Ausführung den Vorteil, dass wir in der Zwischenzeit über 12,5 Meter lange Gläser einsetzen können.

Die Herausforderung bestand darin, einen Spezialisten (Wolfgang Kahlert aus Deutschland) für die statische Gestaltung eines solchen Glasobjekts zu finden; gleichzeitig haben wir einen ganz besonderen Aufzug, der uns in das Innere des Glas-Eies befördert. Der Aufzug stammt vom rumänischen Hersteller ELMAS, der dafür international ausgezeichnet wurde.

Welche Bedeutung spielt Glas in Ihrer Architektur?
Von allen Baustoffen liebe ich Glas am meisten. Transparenz und Licht bestimmen für mich Architektur.


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Bautafel

Art Museum Craiova, Neubau "Brâncuși Art Center”
Architekt: Dorin Stefan, Bukarest
Bauherr: Manelli SRL
Glasveredler: sedak, Gersthofen (D)

Fertigstellung: 2022

Sedak-Gläser:
- 23 Dreifach-Laminate aus Weißglas, bis 3,00 x 12,5 Meter
- 8 Glasfins, Fünffach-Laminate, bis 3,00 x 12,45 Meter



Bei Tag und bei Nacht ein Ereignis: Das zwölf Meter hohe Glas-Kunstwerk als Hommage an das Schaffen des Bildhauers Constantin Brâncuși. Das Kunstwerk steht neben dem Art-Museum in Craiova (Rumänien). Unterirdisch erweitert, zeigt es nun die Kunst Brâncușis, der aus Craiova stammt.
Bilder: Andrei Pandele


Măiastra, ein mythischer Vogel, ist von Brancusi häufiger als Skulptur gestaltet worden – reduziert auf eine minimalistische Form und oft nur einige Zentimeter hoch. Diese wiederum diente als Vorlage für das beeindruckende Glaskunstwerk im Großformat.
Bild: Dorin Stefan, DSBA


Skizze der unterirdischen Erweiterung inklusive des oberirdischen Ausrufezeichens.
Bild: Dorin Stefan, DSBA


Das Rendering zeigt den Bestand, das Art Museum Craiova, und den Glasbau als neuen Blickfang. So behält der klassizistische Bau seine Wirkung – trotz der erweiterten Ausstellungsfläche: Diese wurde unter der Erde geschaffen.
Bild: Dorin Stefan, DSBA