Architekten als Jugendbegleiter (06/05/2007 07:00:00 AM)

Seminar für potentielle Jugendbegleiter stieß auf große Resonanz
Nach dem 1994 verstorbenen italienischen Pädagogen Loris Malaguzzi ist der Raum (nach den anderen Kindern und den Erwachsenen) der dritte Pädagoge. Der Schule als Ort, an dem sich Kinder und Jugendliche zunehmend den ganzen Tag aufhalten, kommt damit eine enorme Bedeutung zu. Das Land Baden-Württemberg steckt viel Engagement in den Ausbau vorhandener Schulen für den Ganztagsbetrieb. Bei der Betreuung setzt es verstärkt auf das Ehrenamt. So hat auch die Architektenkammer Baden-Württemberg im Februar 2006 die Rahmenvereinbarung für das sogenannte "Jugendbegleiter-Programm" unterzeichnet. Damit wird ehrenamtliches Engagement in der offenen Ganztagsschule ein wichtiger Baustein eines Gesamtbildungskonzepts und eröffnet für den Berufsstand Chancen, die Themen "Architektur und Stadtplanung" an derzeit 520 Modellschulen zu lehren. Die ersten erforderlichen Vorkenntnisse vermittelte im Mai ein kostenloses Seminar, angeboten von Architektenkammer und Institut Fortbildung Bau im Haus der Architekten. Rund 100 potentielle Jugendbegleiter nutzten das Angebot.

Eine Architektin konnte bereits von ihrer Tätigkeit als Jugendbegleiterin berichten
Von Brigitte Kieser, beim Ministerium für Kultus, Jugend und Sport verantwortlich für das Jugendbegleiter-Programm, war zunächst zu erfahren, dass Architekten derzeit noch kaum ehrenamtlich an den Modellschulen tätig seien - einzig eine Architektin aus Karlsruhe konnte im Rahmen der Veranstaltung bereits von ihrer Tätigkeit als Jugendbegleiterin berichten. Die Ursache dafür sah sie vor allem darin, dass aus pragmatischen Gründen Ehrenamtliche aus Sportvereinen als Jugendbegleiter bevorzugt werden. Da bis 2014 aber 40 Prozent der Schulen im Südwesten im Ganztagsbetrieb laufen sollen, eröffneten sich noch Möglichkeiten, Kinder und Jugendliche für die Gestaltung der bebauten Umwelt zu sensibilisieren. Zumal der Aufwand der ehrenamtlichen Tätigkeit - bis 2010 fester Bestandteil des Modellprogramms - auch entschädigt werde.
 

Entwicklung des Ganztagsschulwesens in Deutschland
Dr. Heike Deckert-Peaceman, Professorin an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg und ausgewiesene Expertin für Ganztagsschulen, führte die Seminarteilnehmer in die Entwicklung des Ganztagsschulwesens in Deutschland ein und zog Vergleiche zum Ausland. Die derzeitigen Ganztagsschulangebote in Deutschland seien ein freiwilliges zusätzliches Angebot, das vor allem Müttern die Berufstätigkeit wieder ermögliche. Genutzt werde es aber derzeit nur von etwa 20 Prozent aller Schüler. Dennoch würden Schulen zunehmend nicht



Prof. Dr. Heike Deckert-
Peaceman (im Bild links vorne)
nur ein Ort für Unterricht sein. Deckert-Peaceman hinterfragte, ob Kinder und Jugendliche im Rahmen des Ganztagsschulangebots nicht auch die Möglichkeit bekommen müssten, mal nichts zu tun. Dazu müssten die Schulen aber auch Nischen für den Rückzug anbieten. Auch den Pädagogen böten die Schulen derzeit nur die gemeinschaftlich genutzten Lehrerzimmer. Für eine gute Schulentwicklung müssten, so ihr Plädoyer, Architekten unbedingt beteiligt werden. In dem Jugendbegleiter-Programm sah sie eine Chance, den vorhandenen Unterricht durch Eindrücke aus der Arbeitswelt zu ergänzen und damit letzlich die Lernkultur zu verbessern.

Vermittlung architektonischer Belange
Dr. Riklef Rambow versuchte in seinem Vortrag für die richtige Vermittlung architektonischer Belange zu sensibilisieren. Das Lernziel formulierte er zunächst abstrakt als "kognitive und motivationale Grundlage für die kompetente, informierte und kritische Wahrnehmung, Aneignung und Mitgestaltung von Architektur und Stadt." Er verwies dabei auch auf das Ergebnis einer älteren Studie unter 14- bis 16-Jährigen, nach der die befragten Jugendlichen zwischen Architektur und gebauter Umwelt deutlich unterschieden. So gelte es, vor allem die Grenze zwischen Architektur, die im Bereich der Kunst angesiedelt werde, und gebauter Umwelt, die zum Alltag zähle, aufzuweichen und zunächst die Wahrnehmung zu sensibilisieren. In seinem Vortrag schlug er eine sinnvolle, schrittweise Vorgehensweise vor. Ziel aller Bemühungen müsse es sein, eine aktive, kreative Zeitgenossenschaft zu bewirken, die langfristig eine besser gestaltete Umwelt einfordere. Eine berufspolitische Forderung stelle demnach auch die Entwicklung einer universitär verankerten Architekturdidaktik dar.



v.l. Dr. Riklef Rambow und Prof. Dr. Wolfgang Mühlich

Fotos: AK Baden-Württemberg


Projekt mit Studierenden sowie Eltern, Kindern und Lehrern
Der letzte Referent des Nachmittags, Dr. Wolfgang Mühlich, als Freier Architekt in Ulm und Professor an der Hochschule Biberach tätig, informierte über ein Projekt mit Studierenden sowie Eltern, Kindern und Lehrern der Gaisental-Grundschule in der oberschwäbischen Stadt. Dabei kritisierte er die starren Festsetzungen der geltenden Schulbaurichtlinien, die kaum Spielraum ließen, entsprechend gute Orte für Schüler und Lehrer zu planen. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Problematik, dass Schulen gleich zwei Eltern hätten: Das Land sei bei den Schulen verantwortlich für die Pädagogen, die Kommunen für die Räume.
 
Weitere Veranstaltung in Vorbereitung
Das halbtägige Seminar, das eine Fortsetzung des Erfahrungsaustausches im Dezember 2005 darstellte, konnte natürlich nur einige wenige Themen aufgreifen. Für den 8. November 2007 ist deshalb beim Institut Fortbildung Bau eine entsprechende weitere Veranstaltung in Vorbereitung. Näheres ist dem im Sommer erscheinenden Fortbildungsplaner zu entnehmen. Für die nächste Evaluation des Jugendbegleiter-Programms bittet die Architektenkammer um kurze Information, wenn Architekten und Stadtplaner als Jugendbegleiter an den Modellschulen tätig werden. Für Rückfragen steht Ihnen Carmen Mundorff zur Verfügung.

Quelle
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